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Ordensklinikum Linz

Doch kein Zwilling - Häufige Diagnose Dermoidzyste bei jungen Frauen

Datum: 21.07.2020

Ihren ersten Frauenarztbesuch wird Melanie Hofer (Name von der Redaktion geändert) wohl nie vergessen. Die 17-Jährige war zum ersten Mal verliebt und wollte mit ihrer Ärztin eigentliche über Empfängnisverhütung reden. Doch statt des Rezepts für die Pille erhielt sie die Diagnose „Dermoidzyste“. An ihrem rechten Eierstock hatte sich unbemerkt ein rund zehn Zentimeter großes Gewächs gebildet. Die junge Frau war schwer geschockt und verstand die Welt nicht mehr. Denn sie hatte davon nichts gespürt: Kein Ziehen, keine Schmerzen, keine Zwischenblutungen, keine Gewichtszunahme, selbst die engen Jeans und das Maturaballkleid passten wie angegossen.

Aufgrund der Größe der Zyste musste Melanie Hofer relativ schnell operiert werden. Der Eingriff konnte minimalinvasiv mittels Bauchspiegelung durchgeführt werden. Nach nur drei Tagen wurde sie wieder aus dem Krankenhaus entlassen. Die Dermoidzyste war entfernt worden, das Leben der jungen Frau konnte – wie gewohnt – weitergehen, und sie war sehr erleichtert, als sie von ihrer Ärztin erfuhr, dass sie trotz Entfernung eines Eierstocks später einmal Kinder bekommen könnte.

In vielen Gesprächen, die die junge Frau nach diesem Eingriff mit Freundinnen und Verwandten führte, stellte sich heraus, dass sie mit ihrem Schicksal bei weitem nicht alleine ist. Immer wieder berichteten Frauen von der Diagnose „Dermoidzyste“ in ihrer Jugend, vom anfänglichen Schock, weil die Zysten teilweise Haare und Zähne enthielten. Zum Trost für Melanie Hofer hatten die meisten ihrer „Schicksalsgenossinnen“ später mehrere Kinder bekommen und auch in den Schwangerschaften keine Probleme gehabt.

Etwas verunsichert war die junge Frau allerdings von vielen Geschichten, in denen behauptet wurde, diese Zysten seien so etwas wie verlorene Zwillinge. Für Esoteriker scheinen die Gewächse nämlich ein willkommener Sündenbock zu sein. Sie bringen unerfüllte Sehnsüchte oder Schuldgefühle eines Menschen immer wieder mit den „verlorenen“ Zwillingen in Verbindung. Manche sprechen gar von traumatischen Erfahrungen für den überlebenden Zwilling und von Konsequenzen für sein späteres Bindungsverhalten.

Erst in einem ausführlichen Gespräch mit ihrer Gynäkologin konnten für Melanie Hofer auch diese Unsicherheit aus der Welt geräumt werden. Gynäkologin Dr. Tatjana Weiss, Oberärztin an der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe der Linzer Spitalspartner Ordensklinikum und Barmherzige Brüder, erklärt im Interview unter anderem, warum es sich bei diesen Zysten nicht um verlorene Zwillinge handelt, wie viele vermuten.

 

Text und Interview: Barbara Rohrhofer mit Dr. Tatjana Weiss, Oberärztin an der Abteilung Gynäkologie und Geburtshilfe der Linzer Spitalspartner Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern und Barmherzige Brüder, Quelle: human - das Gesundheitsmagazin für Oberösterreich

 

Die Dermoidzyste wird im Volksmund oft auch als verlorener Zwilling bezeichnet, weil es typisch ist, dass sich darin Haare, Haut, Gewebearten und sogar Zähne befinden können. Handelt es sich dabei tatsächlich um Zwillinge?

Nein, es sind keine verlorenen Zwillinge. Es handelt sich eigentlich um ein „Stück von einem selbst“. Die sogenannten pluripotenten Stammzellen können sich zu verschiedenen Gewebe des menschlichen Körpers entwickeln – wie etwa Haare und Zähne – und sich an einem untypischen Ort im Körper befinden, zum Beispiel am Eierstock.

Klingt so, als seien diese Zysten von Geburt an angelegt.

Ja, es handelt sich um eine Fehlentwicklung von embryonalem Gewebe. Die schon erwähnten Stammzellen trennen sich in seinem sehr frühen Entwicklungsstadium des Embryos ab und „docken“ beispielsweise am Eierstock an. Diese Zellen können sich dann in jedes Gewebe des Körpers verwandeln.

Können diese speziellen Zysten auch an anderen Stellen des Körpers auftreten als an den Eierstöcken?
Ja, Dermoide können unter anderem auch im Bereich des Steißbeins und im Kopf- Halsbereich vorkommen, bei Männern auch im Hoden.

Brauchen sie zum Wachsen Hormone?
Die Stammzellen, aus denen Dermoide zum Beispiel am Eierstock entstehen, scheinen tatsächlich auf hormonelle Veränderungen in der Pubertät zu reagieren und aktiviert zu werden. Wie das ganz genau geschieht, ist bis dato nicht geklärt.

Ist das Alter von Melanie Hofer – sie war bei der Diagnose 17 – also typisch für Dermoidzysten?
Ja, sie werden oft bei jungen Frauen zwischen 15 und 30 Jahren entdeckt, oftmals bei einem Routine-Ultraschall.

Ultraschallbild und Frau

Wie oft stellt der Frauenarzt eine derartige Diagnose?
15 bis 25 Prozent aller Eierstocktumore bei Frauen sind Keimzelltumore, davon sind 90 Prozent Dermoidzysten, die auch als reife Teratome bezeichnet werden.

Warum erkennt man diese Teratome erst oft dann, wann sie schon sehr groß sind?
Die Diagnose erfolgt vor allem mittels Ultraschall beim Frauenarztbesuch. Viele Frauen kommen allerdings erst, wenn sie Beschwerden haben. Da kann es dann passieren, dass bereits größere ,Befunde‘ vorliegen.

Wie groß kann eine derartige Zyste denn überhaupt werden?
Dermoidzysten wachsen zwischen zwei Millimeter und zwei Zentimeter im Jahr. Wenn sie nicht früher durch Ultraschall entdeckt werden und keine Symptome verursachen, können sie beachtliche Ausmaße annehmen und manches Mal sogar den ganzen Bauchraum ausfüllen.

Welche Beschwerden könnten darauf hinweisen?
Chronische Unterbauchschmerzen können ein Hinweis sein, aber auch ein bestehender Druckschmerz im Unterbauch oder akut auftretende Schmerzen in dieser Region.

Kann es Komplikationen geben?
Ja, ab einer Größe von zirka fünf Zentimeter kann es passieren, dass sich der betroffene Eierstock um die eigene Achse dreht und sich dabei die Blutversorgung selbst abschnürt. In der Fachsprache heißt das Ovarialtorsion. Wird dieser Zustand nicht operativ behoben, stirbt der Eierstock nach einer gewissen Zeit ab und verliert seine Funktion.

Muss man Dermoidzysten eigentlich immer operativ entfernen oder können sie auch von selbst „verschwinden“?

Von selbst verschwinden sie leider nicht.

Können diese Zysten auch bösartig werden?
Eine Bildung von Krebsgewebe ist bei Dermoidzysten am Eierstock sehr selten. Dies geschieht in 0,2 bis zwei Prozent der Fälle. Bei Männern – also bei Dermoidzysten im Hoden - ist das Krebsrisiko höher.

Muss man bei der Operation dieser Eierstockzysten einen Bauchschnitt machen oder geht es auch sanfter?
In den meisten Fällen ist das minimalinvasiv, also durch Bauchspiegelung, möglich. In Narkose wird die Dermoidzyste aus dem Eierstock geschält. Meist kann dabei der Eierstock erhalten werden.

Was heißt das für die Frau, wenn der Eierstock trotzdem entfernt werden muss?
Selbst bei der Entfernung des Eierstocks, die in diesem Fall in nur sehr seltenen Fällen nötig ist, ist der Kinderwunsch nicht gefährdet, da der verbleibende zweite Eierstock die Fertilität, also die Fruchtbarkeit der Frau, erhält.

Kann es nach der Operation passieren, dass die Dermoidzyste quasi nachwächst?
Nein, das gibt es nicht. Diese Zysten treten nach vollständiger operativer Entfernung am selben Eierstock nicht mehr auf.

Ist das Vorkommen derartiger Zysten genetisch bedingt?
In der Literatur wird teilweise eine familiäre Häufung beschrieben, ein konkreter „Gendefekt“, der die Entstehung von Dermoidzysten bedingt, ist aber nicht bekannt.

Kann man eigentlich irgendetwas machen, damit man die Entstehung verhindert?
Verhindern kann man das nicht. Das einzige, was man tun kann, ist die regelmäßige Kontrolle beim Frauenarzt, der – wie bereits gesagt - mittels Ultraschall Eierstockzysten erkennen kann.

 

Nähere Informationen:

Gynäkologie & Geburtshilfe