Mittags im Linzer Vinzenzstüberl. Das kleine Nichtraucherlokal im Gebäude des Ordensklinikums der Barmherzigen Schwestern ist randvoll. Trotzdem kommen noch mehr Menschen zur Tür herein. "Eine Hauptspeise gibt's bei uns nämlich schon für 50 Cent. Bei der Tagessuppe, dem Gebäck, Butter, Käse, Aufstrichen, Marmelade sowie Obst und Kuchen darf außerdem jede und jeder unbegrenzt zulangen", sagt Lokalleiterin Schwester Tarcisia Valtingoier (68) und reicht einem Obdachlosen eine Portion Spaghetti bolognese. Zubereitet wird das Essen von der Spitalsküche. Auf abwechslungsreiche Kost wird großen Wert gelegt. "Jeden Tag gibt es ein Hauptgericht. Jeder darf selbst entscheiden, ob er Fisch oder Fleisch mit Reis, Knödel, Nudeln oder Erdäpfeln möchte oder doch lieber vegetarisch isst wie manche Muslime hier", sagt Schwester Tarcisia. Geachtet wird auch darauf, dass die Speisen vertraut und optisch ansprechend sind. "Bunte Speisen bringen Freude in ein tristes, graues Dasein. Auch die Temperatur spielt eine Rolle:
Warmes Essen füllt den Magen und das Leben weit mehr als kaltes. Es schafft inneren Frieden und emotionale Sättigung." Sobald die Bedürftigen hier ihre Suppe löffelten, stänkere niemand mehr. Jeder konzentriere sich dann auf den Teller vor ihm und vergesse so für einige Momente seine Probleme. Wie wertvoll diese bewusste Sinneserfahrung ist, zeigt sich auch nach der Ausspeisung. Zufrieden und dankbar stellen die Menschen hier ihr Tablett zur Abwasch. Der Austausch über "das gute Essen" bringt sie ins Gespräch. Die meisten bleiben auch noch gerne zum Kaffee, zum Kartenspielen oder für ein Nickerchen. Im Aufenthaltsraum ist Platz genug.
Das Vinzenzstüberl in der Herrenstraße 39 in Linz gibt es seit 20 Jahren. Täglich zwischen 13.00 und 17.00 Uhr können Obdachlose eine Mahlzeit einnehmen. Im Schnitt werden 120 Personen pro Tag ausgespeist, im Winter oft sogar 180. Unter den Gästen sind auch Asylwerberinnen, doch die österreichische Klientel nehme laut Schwester Tarcisia zu, "weil eine warme Mahlzeit sogar für viele Einheimische nicht mehr leistbar ist und versteckte Armut sichtbar wird".
Quelle: "Welt der Frau" vom 17.01.2018