Schlaflosigkeit: Wenn Kinder nicht „wie ein Baby“ schlafen
Wenn Menschen sagen, sie hätten „geschlafen wie ein Baby“, dann meinen sie meist einen tiefen, traumlosen und durchgehenden Schlaf. Eltern von Säuglingen und Kleinkindern wissen aber, dass diese Vorstellung mit dem realen Schlafverhalten der Kleinen oft wenig gemeinsam hat. Wie Kinder mit Ein- oder Durchschlafproblemen unterstützt werden können, verrät Primar Dr. Gerhard Nell, Leiter der Abteilung für Kinder- und Jugendheilhunde am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern.
„Schlaflosigkeit bei Kindern ist immer wieder zentrales Thema in meiner langjährigen Tätigkeit als Kinderarzt. Da die Problematik in den verschiedenen Lebensphasen so unterschiedlich und vielfältig ist, gibt es so gut wie nie „Schwarz-Weiß-Lösungen““, sagt Prim. Dr. Gerhard Nell. Es fängt schon damit an, dass bei Neugeborenen und Säuglingen vermeintliche Schlafstörungen gar keine sind, sondern Teil des natürlichen Entwicklungsprozesses. Daher betont Nell: „Es darf nicht das alleinige Ziel sein, dass das Kind durchschläft.“
Schlaf, Kindlein, schlaf!
Eltern können durch eine ruhige und konstante Abendroutine viel bewirken. Ein warmes Bad, eine Geschichte vor dem Schlafengehen oder leise Musik schaffen eine entspannte Atmosphäre. „Wichtig ist, dass der Tag langsam zur Ruhe kommt – also abends kein aufregendes Spiel oder Bildschirmzeit“, rät der Kinderarzt. Um den Schlaf-Wach-Rhythmus nicht durcheinanderzubringen, sollte auch an den Wochenenden möglichst auf die gleiche Aufwach- und Einschlafzeit geachtet werden. Ein dunkler, ruhiger und gut belüfteter Raum signalisiert dem Körper darüber hinaus, dass es Zeit ist zu schlafen.
Können die Kinder dennoch schwer einschlafen, empfiehlt Prim. Nell altersentsprechende Hilfestellungen. „Säuglinge beruhigen sich oft durch Nähe und Körperkontakt. Stillen, sanftes Schaukeln oder auf dem Arm tragen wirken beruhigend.“ Auch Schnuller können das Einschlafen erleichtern, sollten jedoch alters- und kiefergerecht sein und bis zum dritten Geburtstag schrittweise abgewöhnt werden, um Gebiss- und Sprachentwicklung nicht zu beeinträchtigen. Bei Kleinkindern sind hingegen Rituale wie das Vorlesen oder abendliches Kuscheln besonders wichtig. „Um feste Schlafenszeiten einzuführen, braucht es allerdings Geduld“, weiß der erfahrene Mediziner.
Regulationsstörungen bei Säuglingen
An die Grenzen ihrer Belastbarkeit können Eltern von „Schreibabys“ kommen. „Wenn Eltern mitten in der Nacht in völliger Verzweiflung zu uns kommen, weil das Baby nicht aufhört zu schreien, dann ist es unsere Aufgabe zu klären, ob das Schreien körperliche Ursachen wie beispielsweise eine Ohrentzündung oder einen Leistenbruch hat“, erklärt Prim. Nell. Diese Kinder leiden jedoch oft an einer Regulationsstörung – früher bekannt als „Drei-Monats-Kolik“-, die zwei Wochen nach der Geburt beginnt und etwa drei Monaten dauern kann. Rund 10 Prozent der Neugeborenen sind davon betroffen. „Es ist wahnsinnig wichtig, den Eltern zu sagen, dass ihr Baby gesund ist und diese Schreiphasen in den meisten Fällen ohne Langzeitfolgen vorbeigehen wird. Dauert sie länger als drei Monate, müssen die Ursachen genauer abgeklärt werden“, so der Primar. Betroffene Erwachsenen sollten in dieser Zeit jedenfalls auf ihre eigenen Ressourcen schauen, um selbst zu Ruhe zu kommen. Sie können sich zum Beispiel die Kinderbetreuung und andere Aufgaben in der Partnerschaft aufteilen oder Familienangehörige um Unterstützung bitten.
Endlich durchschlafen
Es gibt keine feste Regle, ab wann Kinder durchschlafen. „Viele Säuglinge schlaffen es ab einem Alter von etwa sechs bis zwölf Monaten mehrere Stunden – fünf bis sechs – am Stück zu schlafen“, sagt der Kinderarzt. Manche Eltern sind dann verunsichert, wenn ihr Kind, das bereits durchgeschlafen hat, plötzlich wieder öfter aufwacht. Phasen wie das Zahnen oder Entwicklungsschübe, bei denen Wachstumshormone in der Nacht ausgeschüttet werden, können den Schlaf kurzfristig stören. Auch äußere Reize wie Hunger oder körperliches Unwohlsein beeinflussen das Durchschlafen mitunter negativ. „Vor allem rund um das Abstillen kommen Kinder in der Nacht wieder öfter, weil sie ohne die Muttermilch nicht genügend Eiweiß zu sich nehmen und deswegen hungriger sind. Bei der Umstellung auf Beikost sollten Eltern daher besonders auf eine hochwertige Eiweißquelle achten und gegebenenfalls auf Muttermilchersatzprodukte zurückgreifen“, rät Prim. Nell.
Vorsicht bei Social Media-Trends
In den Sozialen Medien kursieren immer wieder Gummibärchen, die das Hormon Melatonin enthalten und als Einschlafhilfe für Kinder empfohlen werden. Melatonin steuert den Schlaf-Wach-Rhythmus und wird in der Zirbeldrüse im Zwischenhirn gebildet. „Die Einnahme melatoninhaltiger Gummibärchen ohne ärztliche Absprache ist riskant, da die Dosierung sehr unklar ist. Es kann zu Nebenwirkungen wie Kopfschmerzen, Übelkeit oder sogar Störungen im natürlichen Hormonhaushalt führen“, warnt Prim. Dr. Gerhard Nell. Keinesfalls sollten diese Risiken unterschätzt werden. Leidet ein Kind länger als zwei bis vier Wochen an Schlafproblemen und ist am Tag durch extreme Müdigkeit, Konzentrationsschwierigkeiten oder Verhaltensauffälligkeiten beeinträchtigt, sollten Ärzt*innen konsultiert werden. Auch auffällige Schlafmuster wie lautes Schnarchen, Atemaussetzer oder regelmäßige Alpträume sollten untersucht werden. „Bei älteren Kindern spielen oft Stress oder Ängste eine Rolle, beispielsweise durch Schule oder soziale Konflikte“, sagt der Mediziner. Auch zu viel Bildschirmzeit am Abend kann den Schlaf erheblich stören, deswegen sollte mindestens eine Stunde vor dem Zubettgehen Fernseher, Handy und Co. abgeschaltet werden. Entspannungsübungen wie Atemtechniken oder progressive Muskelentspannung können helfen.
Foto © Ordensklinikum Linz:
Prim. Dr. Gerhard Nell, Abteilungsleitung Kinder- und Jugendheilkunde am Ordensklinikum Linz Barmherzige Schwestern
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